Die Ständige Fachkonferenz 3 (SFK 3) „Familienrecht und Beistandschaft, Amtsvormundschaft“ des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. (DIJuF) hat sich in ihrer 22. Sitzung ausführlich mit den Konsequenzen der Entscheidung des BGH v. 11.1.2017 – XII ZB 565/15 zum Unterhalt im Wechselmodell für die Beratungspraxis in den Jugendämtern befasst.
Mit der vorliegenden Handreichung stellt die SFK 3 der Beratungspraxis eine Arbeitshilfe zur Verfügung, in der die grundlegenden Vorgaben des BGH berücksichtigt werden. Nachfolgend erfolgt ein Auszug aus der Handreichung.
Dabei stellt die SFK 3 zunächst klar, dass ein echtes Wechselmodell im Sinne der Entscheidung des BGH regelmäßig nur dann vorliegt, wenn das Kind sich etwa hälftig bei jedem Elternteil aufhält. Sollte diese zeitliche Komponente nicht erfüllt sein, liegt lediglich ein erweiterter Umgang vor.
Die Eltern müssen darauf hingewiesen werden, dass öffentliche Leistungen zum Unterhalt bei Ausübung des Wechselmodells entfallen bzw. aufgeteilt werden.
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So werden Leistungen nach dem UVG nicht mehr erbracht, da es jedenfalls im Wechselmodell am Merkmal der Alleinerziehung fehlt.
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So werden Leistungen nach dem SGB II nur noch anteilig erbracht, unter Berücksichtigung der temporären Bedarfsgemeinschaft. Der Mehrbedarf für Alleinerziehende wird beim Wechselmodell nach dem BSG regelmäßig jeweils hälftig gewährt.
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Zum Melderecht hat das BVerwG entschieden, dass auch im Wechselmodell das Kind nur einen ersten Wohnsitz haben kann.
Ausgehend von der Entscheidung des BGH hat die SFK 3 das nachfolgende vereinfachte Berechnungsmodell entwickelt, das im Rahmen der Beratung eingesetzt werden kann. Dabei ist jedoch ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass dieses Modell nicht vollumfänglich dem entspricht, was die Familiengerichte ausgehend von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei einer streitigen Entscheidung zum Unterhalt im Wechselmodell voraussichtlich zugrunde legen werden.
Zunächst sind die unterhaltsrechtlich bereinigten Einkommen der Mutter und des Vaters zusammenzurechnen, wobei von einer gleichen Arbeitsverpflichtung bei beiden Elternteilen auszugehen ist, d.h. i.d.R. von einer – u.U. auch nur fiktiven – Vollzeittätigkeit von Mutter und Vater. Mit diesem zusammengerechneten Einkommen wird der Elementarbedarf des Kindes anhand der Düsseldorfer Tabelle ermittelt.
Zu dem ermittelten Elementarbedarf ist der beim Kind anfallende Mehrbedarf hinzuzurechnen.
Dies sind:
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Kosten für Kindergarten, Hort, Hobbies, Fahrten zur Schule usw.;
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zumindest die durch das Wechselmodell erforderlich werdenden Fahrtkosten;
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evtl. Kosten der Krankenversicherung für das Kind.
Nicht darunter fallen die Betreuungskosten, die einem Elternteil entstehen in der Zeit, in der das Kind bei ihm ist, also z.B. die Kosten für eine Betreuungsperson, die die Betreuung anstelle des Elternteils übernimmt.
Um Streitigkeiten zwischen den Eltern über die Berechtigung von Mehrbedarfen zu vermeiden, ist die SFK 3 der Auffassung, dass nur solche Mehrbedarfe zu berücksichtigen sind, die von beiden Eltern akzeptiert werden.
Abweichend von der Entscheidung des BGH v. 11.1.2017 ist keine Erhöhung des Bedarfs des Kindes durch Wohnmehrkosten vorzunehmen. Die Berechnungsvorgabe des BGH führt zu erheblichen Umsetzungsschwierigkeiten in der Praxis. Die SFK 3 hält es für vertretbar, die unterschiedliche Form der Deckung des Wohnbedarfs durch die Eltern im Rahmen der Berechnung zu vernachlässigen und davon auszugehen, dass das Kind bei jedem Elternteil angemessen mit Wohnraum versorgt wird, so dass neben dem 20%igen Anteil für Wohnen, der in den Sätzen der Düsseldorfer Tabelle eingearbeitet ist, eine weitere Differenzierung nicht mehr erforderlich ist.
Der so ermittelte Gesamtbedarf des Kindes ist um das gesamte Kindergeld zu vermindern.
Die SFK 3 weicht wiederum aus Vereinfachungsgründen auch bei der Kindergeldberücksichtigung von der Entscheidung des BGH v. 11.1.2017 ab und empfiehlt im Rahmen der Beratung, den Eltern – unter Offenlegung der Abweichung von der BGH-Rechtsprechung – vorzuschlagen, sich darauf zu verständigen, dass auch die auf den Betreuungsunterhalt entfallende Kindergeldhälfte vom Bedarf abgezogen und damit anteilig nach der Leistungsfähigkeit der Eltern und nicht zwingend hälftig berücksichtigt wird. Im Ergebnis dürfte sich diese Berechnungsform kaum auswirken, sie dient aber der Vereinfachung und der besseren Durchschaubarkeit der Berechnung.
Entsprechend der Berechnung beim Volljährigenunterhalt ist getrennt nach Mutter und Vater die Leistungsfähigkeit für den Kindesunterhalt zu ermitteln. Dazu wird das – evtl. auch nur fiktive – Einkommen des jeweiligen Elternteils bereinigt um den großen Selbstbehalt. Der sich dann noch ergebende Betrag aufseiten der Mutter und des Vaters wird addiert und so die Gesamtverteilungsmasse ermittelt.
Reicht diese aus, um den zuvor errechneten Gesamtbedarf des Kindes zu decken, bedarf es keiner Korrektur. Reicht die Gesamtverteilungsmasse nicht aus, so ist eine Neuberechnung erforderlich unter Anwendung des kleinen Selbstbehalts.
Anschließend wird die Quotierung vorgenommen. Im gleichen Verhältnis wie das Einkommen der Mutter zur Gesamtverteilungsmasse steht, muss diese sich an dem Gesamtbedarf für das Kind beteiligen. Die gleiche Berechnung wird für den Vater durchgeführt. Damit stehen die Barunterhaltsleistungen, die von jedem Elternteil zu erbringen sind, betragsmäßig fest.
Hier bedarf es einer Verständigung der Eltern darüber, welcher Elternteil welche Zahlungen für das Kind an Dritte unter Anrechnung auf seine Barunterhaltspflicht erbringen kann, also wer z.B. die Zahlung für den Kindergarten oder den Musikunterricht übernimmt. Zugleich bedarf es einer Einigung zwischen den Eltern, wer welche Bekleidung bzw. andere Bedarfsgegenstände für das Kind kauft.
Den Eltern kann zur Vereinfachung auch empfohlen werden, gemeinsam ein Konto für das Kind einzurichten, auf das das Kindergeld einzuzahlen ist und jeder Elternteil den in Schritt 4 ermittelten Barbetrag einzahlt und sie sich einigen, wer für das Kind von diesem Geld Kleidung und Bedarfsgegenstände kauft bzw. Kosten für das Kind zahlt. Ein solches Modell funktioniert vor allem dann, wenn der andere Elternteil immer jeweils informiert wird und bei größeren Anschaffungen mitentscheidet.
Wird kein Kinderkonto eingerichtet, so steht die Hälfte der Differenz der unter Schritt 4 errechneten Barunterhaltspflichten unter Berücksichtigung von einverständlichen Zahlungen auf bspw. Mehrbedarfe dem weniger Barunterhalt schuldenden Elternteil zu, ebenfalls unter Berücksichtigung, dass noch ein Ausgleich der Kindergeldzahlung erfolgen muss.
Sollte den Eltern eine Einigung über Anschaffungen für das Kind, wie Kleidung usw., nicht möglich sein, ist Aufgabe der Berater/innen im Jugendamt, ihnen die im Alltag zu klärenden unterhaltsrechtlichen Fragen transparent zu machen, ihnen Handlungsoptionen für eine Verständigung anzubieten und die Grenzen einer unterhaltsrechtlichen Klärung aufzuzeigen, wenn sie sich nicht einigen können. Die Entscheidung über die Wahl der Lebensform verbleibt letztlich bei den Eltern und ggf. ihren Kindern.
Das Wechselmodell ist kein Unterhaltssparmodell, sondern erfordert von den Eltern auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine gewisse Einsatzbereitschaft, denn es ist regelmäßig mit höheren Kosten verbunden als das Residenzmodell. Nach der Entscheidung des BGH v. 11.1.2017 sind regelmäßig beide Eltern zu einer Vollzeitarbeitstätigkeit verpflichtet, da beim Wechselmodell kein Elternteil seiner Unterhaltspflicht allein durch Pflege und Erziehung des Kindes genügen kann.